Im vollbesetzten Bauforum ließen sich Fachleute aus verschiedenen Disziplinen informieren, inspirieren und ermutigen. Mit Impulsvorträgen und Podiumsdiskussionen wurde so der neu entstehende Planungs- und Qualitätskompass für den Gesundbau in Schleswig-Holstein weiter vorangebracht.
Krankenhäuser als Lebenswelten für Menschen und für die Region
Krankenhausbau ist ein nahbares Thema, das uns alle berührt
, sagte Dr. Muriel Helbig, Präsidentin der TH Lübeck. Die Technische Hochschule Lübeck sei der ideale Ort für den Wissenstransfer dieses wichtigen Zukunftsfeldes: Dieses Forschungsthema passt zum Charakter unserer Hochschule und unseren inhaltlichen Schwerpunkten Technik, Ressourcen und Lebenswelten, die wir in der Hochschulstrategie definiert haben. Mensch und Technik werden bei uns stets zusammen gedacht.
Besonders Krankenhäuser seien Lebenswelten nicht nur für Menschen innerhalb dieser Einrichtung, sondern auch für die Region, in der sie gebaut und betrieben werden. Wir suchen an unserer Hochschule für Angewandte Wissenschaften nachhaltige Lösungen; nie allein, sondern stets im Austausch mit unseren Netzwerkpartner*innen.
Erst im Januar 2025 hatten das Kieler Gesundheitsministerium und die TH Lübeck zusammen das dreijährige Vorhaben Beyond Expediency. Sustainable and Empowering Health Care Design gestartet. Das Ziel dieser Kooperation: Gemeinsam soll erarbeitet werden, wie Krankenhäuser so geplant und gebaut werden können, dass sie gut auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet sind. Ein Planungs- und Qualitätskompass soll das bisherige Standardprogramm für den Krankenhausbau aus dem Jahr 2012 ablösen und zur Fördergrundlage werden. Zudem sollen in den nächsten Jahren die Auswirkungen der kürzlich beschlossenen Krankenhausreform auf Klinikstandorte und vorhandene Gebäude im Land geprüft werden.
Krankenhausbauen über die Zweckmäßigkeit hinausdenken
Wir müssen über die bisherige reine Zweckmäßigkeit von Krankenhausbauten hinausdenken, und genau jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür
, ist sich der Projektleiter Dipl.-Ing. Architekt Stephan Wehrig, Professor für Gesundheitsbau am Fachbereich Bauwesen der TH Lübeck, sicher. Das Verständnis hat sich weg vom rein zweckmäßigen Krankenhausbau hin zur ganzheitlichen Gesundheitsarchitektur gewandelt.
Der Projekttitel Beyond Expediency - also ‘Über die Zweckmäßigkeit hinaus’ - bringe genau das zum Ausdruck.
Zukünftig werden wir nicht nur fragen wo, sondern auch wie wir unserer Krankenhäuser in Schleswig-Holstein bauen wollen.
Wichtig sei, alle beteiligten Partner*innen – von den Patient*innen bis zu politischen Entscheidungsträger*innen von der Planung bis zur Umsetzung klug zu vernetzen. Wir kommen aus einer Welt, die es sich geleistet hat, alle 30 Jahre neu zu bauen
, ergänzt Dr. Philipp Männle vom Ministerium für Justiz und Gesundheit des Landes Schleswig-Holstein (MJG). Zukünftig wollen wir wandlungsfähiger werden und den Lebenszyklus deutlich verlängern.
Wissens- und Kompetenzschwerpunkt an der TH Lübeck
Dr. Olaf Tauras, Staatssekretär Ministerium für Justiz und Gesundheit Schleswig-Holstein, begrüßte den gelungenen Start des ehrgeizigen Lübecker Projektes. Wir wollen gemeinsam mit Ihnen vorankommen
, betonte er. Gesundheitsbau sei eine komplexe Aufgabe. Es ist beinahe so, als würde man eine kleine Stadt planen.
Reine Zweckmäßigkeit reiche nicht mehr aus. Wir wollen Krankenhäuser bauen, die länger als eine Generation halten.
Eine Dekade von Infrastrukturmaßnahmen stünde bevor – und das Projekt Beyond Expediency sei da ein wichtiger Player. Wir haben hier an der TH Lübeck die Expertise, die es für den Brückenschlag braucht, um einen Wissens- und Kompetenzschwerpunkt zur künftigen Gestaltung der Krankenhausinfrastruktur zu etablieren
, so Taurus.
Perspektivwechsel: Ärztin und Patientin im Krankenhaus
Dr. Sandra Apondo, Medizindidaktikerin am TUM Medical Education Center und Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, erlebte durch ihre eigene Krebserkrankung das Krankenhaus aus Patientensicht und berichtet in ihrer Keynote, dass Krankenhäuser keine neutralen Orte seien, sondern Orte der Begegnung zwischen Kranken und Gesunden. Meine Hauptbeschäftigung als Patientin war Warten auf den nächsten Schritt
, erinnert sie sich. Apondo setzt sich für heilende Architektur und freundlich gestaltete Krankenhausräume ein und möchte mit ihrem Erfahrungswissen zu mehr gegenseitigem Verständnis beitragen.
Austausch ist wichtig: Inseldenken führt zu Insellösungen
Gutes Bauen ist möglich
, glaubt Prof. Dr. Stefan Kurath, Architekt an der ZHAW Zürich, arbeiten wir an besseren Voraussetzungen.
Er macht die verschiedenen Partikularinteressen für die derzeitigen Planungsergebnisse verantwortlich. Inseldenken führt zu Insellösungen
, sagt er. Man erlebe die Ausbildung von Teilsystemen mit jeweils eigenen Codes: Architekten, Ingenieure, Pflegekräfte, Mediziner, Verwaltungsmenschen und Sozialwissenschaftler haben eine jeweils andere Perspektive als Alltagsexpert*innen, die am Ende schlicht unterscheiden zwischen gefällt oder gefällt nicht. Wir erleben das Nebeneinander eines systemischen Nicht-Verstehens
, sagt er. Sein Credo: Generalist*innen und Spezialist*innen sollten sich eng austauschen. So wie es im Projekt Beyond Expediency bereits passiert.
Eltern-Kind zentrierte Architektur
Als ein Beispiel für einen gelungene Krankenhaus-Neubau stellte Timo Hayen das 2024 eröffnete Universitäts-Kinderspital Zürich vor. Das Konzept bindet Familien aktiv in den Heilungsprozess ein und bietet vielseitige, flexible sowie ökologisch und sozial nachhaltige Räume. Natürliche Materialien wie Holz, viel Tageslicht und angenehme Farben schaffen eine freundliche Atmosphäre für Familien, Ärzte und Personal, während begrünte Rückzugsorte Ruhe und Geborgenheit vermitteln. Kindgerechte Architektur kann zur Heilung beitragen
, sagt Hayen. Ein Hospital funktioniert wie eine kleine Stadt.
Auch der Neubau der Kinder- und Jugendklinik Freiburg, vorgestellt von Marco Nolde und Dr. Thomas Vraetz, legt Wert auf eine genesungsfördernde, familiengerechte Umgebung mit Spiel- und Bewegungsräumen sowie Übernachtungsmöglichkeiten für Angehörige. Beide Projekte zeigen, dass kindgerechte Architektur und das Konzept des Eltern-Kind-Patienten maßgeblich zur Heilung und zum Wohlbefinden beitragen können.
Ideen sammeln für das Krankenhaus der Zukunft
Viele der Ideen, die bei der anschließenden Podiumsdiskussion Wirkung erzielen! und vor allem beim Netzwerken ausgetauscht werden, sind auf einer kleinen Ausstellung im Bauforum bereits sichtbar. Architekturillustratorin Sabine Heine aus Rotterdam hat die Beyond Expediency Ideen vom Krankenhaus der Zukunft sichtbar gemacht. Hier geht es um mehr als nur um Schönheit. Es war ein großer Glücksfall für mich, bei einem gesellschaftlich so relevanten Thema mitarbeiten zu dürfen
, sagt sie. Stephan Wehrig und Architektin Sabrina Neumann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Beyond Expediency, ziehen ein positives Fazit: Der Fachtag war ein sehr gelungener Auftakt, wenn es darum geht, ein Forum für Diskurse zur Weiterentwicklung der Krankenhausinfrastruktur zu etablieren. Die große Nachfrage und damit verbundene Netzwerkarbeit sind Bestätigung und Motivation zu gleich.
Hintergrund: Über Beyond Expediency
Der Planungs- und Qualitätskompass soll an die Stelle des Standardprogramms für den Krankenhausbau treten. Er soll den Krankenhäusern im Land Schleswig-Holstein eine klare Orientierung geben und dazu beitragen, dass die Klinikbauten zukunftsfähig gestaltet werden. Der Kompass wird die Grundlage für die Planungs- und Förderungsentscheidungen des Landes sein. Dafür ist im Januar 2025 das Projekt Beyond Expediency. Sustainable and Empowering Health Care Design an den Start gegangen. Die TH Lübeck und das Ministerium für Justiz und Gesundheit kooperieren im Projekt, um einen Planungs- und Qualitätskompass für die künftige Gestaltung der Krankenhausinfrastruktur in Schleswig-Holstein zu entwickeln.