Wie wichtig ist Ihnen das Thema Internationalisierung?
Kurz gesagt: Das Thema ist mir sehr wichtig. Wissenschaft ist grenzüberschreitend und ohne internationalen Austausch nicht mehr denkbar, erfolgreiche Internationalisierung ist ein Schlüsselfaktor für Wissenschaft und Hochschulen. Das Thema Internationalisierung ist in unserer Hochschulstrategie verankert und wird im Präsidium durch Prof. Karen Cabos als Vizepräsidentin für Forschung und Internationales vertreten. Unsere Forschung verbindet. Unsere Lehre dient nicht nur der Wissens- und Kompetenzvermittlung, sondern fördert auch den internationalen und kulturellen Austausch.
Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Internationalisierung der Lehre?
Oft wird internationale Lehre mit englischsprachiger Lehre gleichgesetzt. Aber es gibt keine verbindliche Definition! Ich spreche daher lieber von internationalen Elementen in der Lehre, das macht es handhabbarer. Wir diskutieren dann über konkrete Punkte wie beispielsweise Mobilitätsfenster in Studiengängen, fremdsprachige Lehre, die Integration von internationalen Studierenden vor Ort oder die Einbindung international Lehrender in unsere Veranstaltungen. Dazu gehört für mich aber auch die Art und Weise, wie wir uns globalen Themen in der Lehre nähern, welche internationale Literatur wir lesen, welche Theorien, Anwendungsbeispiele oder Fragestellungen wir uns anschauen. Es gibt kein Mindestmaß an Internationalisierung, was in der Lehre drin sein muss, damit wir ein Häkchen dran machen können und sagen: Ab jetzt ist es internationale Lehre!
Was hat sich in den letzten Jahren beim Thema Internationalisierung der Lehre verändert?
Ich habe den Eindruck, dass sich gerade der Tenor ändert. Meiner Wahrnehmung nach ging es früher vor allem um Völkerverständigung, um Persönlichkeitsentwicklung und Sprachkenntnisse. Dann reifte die Erkenntnis, dass wir die globalen Herausforderungen nur in der Gemeinschaft bewältigen können. Der Fokus verschob sich dahingehend, dass wir Studierenden nun nicht mehr nur für die globale Welt qualifizieren und die akademische Qualität sichern, sondern darüber hinaus auch so aufstellen, dass wir globale Herausforderungen wie die Klimakrise, Gesundheitsversorgung, Friedenssicherung und Konfliktlösung gemeinsam bewältigen können.
In den letzten Jahren rückten nun als neue Interpretation von Internationalisierung die Bedürfnisse der Wirtschaft immer stärker in den Vordergrund. Es galt, die international Studierenden als Fachkräfte von morgen zu gewinnen und so die Wirtschaft zu stärken. Das war durchaus nicht unumstritten: Brain-Drain, nennen das die einen, als Brain-Gain verteidigen es andere.
Und jetzt – ich weiß nicht, ob das erst durch die Zeitenwende gekommen ist – schwingt plötzlich überall das Riesen-Thema Nationale Interessen wahren mit: Fachkräftemangel, nationale Sicherheit, Transformation, Wettbewerbsfähigkeit, Technologiesouveränität, aber auch Forschungsdatensicherheit und Exportkontrolle. Und wie arbeiten wir überhaupt mit kritischen Partnerländern zusammen? Oder mit Ländern, in denen sich der Tenor gerade verändert? Vor diesem Hintergrund finde ich es besonders wichtig, dass wir uns über die Gründe, warum Internationalisierung für uns wichtig ist, klar verständigen. Und uns und anderen klar machen, dass wir für diese Diskussion auch Kraft und Ressourcen brauchen. Die Zeiten ändern sich. Wir werden diskutieren, ob wir unser Narrativ anpassen müssen, wollen oder werden.
Warum ist die Internationalisierung besonders in der Lehre sinnvoll?
Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) hat die Gründe für die Internationalisierung der Lehre an deutschen Hochschulen in vier Kategorien unterteilt. Da ist zum einen die Dimension Politik und Gesellschaft. Wir stärken den Studien- Forschungs- und Karrierestandort Deutschland, bauen mit einer internationalen Zusammenarbeit krisenfeste Strukturen und Partnerschaften auf. Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, dass wir die akademische Freiheit stärken und Diversität und sozialen Zusammenhalt fördern.
Zweite Kategorie: Jede einzelne Hochschule schärft durch den Austausch ihr Profil und steigert die Sichtbarkeit. Internationalisierung führt zu mehr Innovation und bewirkt eine Qualitätssteigerung von Lehre und Forschung. Für die Wirtschaft leistet die Internationalisierung der Lehre als dritte Kategorie zudem einen Beitrag zur Fachkräftesicherung und sorgt für Fortschritt und Wohlstand. Unsere Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Wirtschafts- und Arbeitswelt ist ohne Internationalisierung der Hochschulen gar nicht mehr denkbar.
Für mich ist ein wichtiger Grund für eine Internationalisierung der Lehre die vierte Kategorie, der Mehrwert für das Individuum. Für unsere Studierenden geht es um die Vorbereitung auf den globalisierten Arbeitsmarkt, um die Kompetenzen, die man hier braucht, es geht um Persönlichkeitsentwicklung, Horizonterweiterung, Sprachfähigkeit und Ähnliches. Und fast immer geht um Austausch, um das gemeinsame verstehen der Gegenwart und das Suchen nach Lösungen für morgen.
Wie unterstützt die TH Lübeck ihre Studierenden, sich für die globale Welt zu qualifizieren?
Bei unseren Unterstützungs-Angeboten unterscheiden wir zwischen Incoming – Welcome to THL und Outgoing – Wege ins Ausland. Was genau wollen und brauchen unsere Studierenden? Wir haben viele maßgeschneiderte Angebote, vom Auslandspraktikum bis zum Zhejiang-Stipendium. Wir haben Partnerhochschulen in aller Welt. Internationale Doppelabschlüsse erlangen unsere Studierenden in einem unserer sechs Double-Degree-Programme mit China, Europa oder den USA. Mit der Milwaukee School of Engineering (MSOE), Wisconsin (USA) verbindet uns eine Kooperation, die seit 1994 besteht. Einige Studiengänge kann man bei uns auch ganz auf Englisch studieren.
Was mir besonders wichtig ist: Wir tragen eine hohe Verantwortung gegenüber den internationalen Studierenden, die zu uns an die TH Lübeck kommen. Wir müssen uns immer klar machen, dass es meist junge Menschen sind, die ihr Heimatland verlassen, um in einem anderen Land, in einem anderen System, in einem anderen Umfeld zu studieren. Ganz oft mit vielen Erwartungen aus ihren eigenen Familienumfeld heraus. Es sind Individuen, die wir auf ihrem Karriereweg begleiten, und deren Lebensweg uns Respekt abverlangen sollte.
Auch der DAAD bietet Beratung und Förderung?
Ja, der DAAD ist ein Verein der deutschen Hochschulen und Studierendenschaften, und auch wir mit der TH Lübeck sind Mitglied und können auf dessen Angebote jederzeit zurückgreifen. Der DAAD ist übrigens die weltweit größte Agentur für internationalen akademischen Austausch. Das Budget des DAAD beträgt 800 Millionen Euro, er vergibt jedes Jahr 150.000 Stipendien, und zwar sowohl an Deutsche, die ins Ausland gehen, als auch an Menschen, die nach Deutschland kommen. Finanziert werden über 3000 Projekte, über 1200 Mitarbeitende, 56 Büros weltweit. Dazu kommen Lektor*innen, die deutschen Innovations- und Wissenschaftshäuser, Fachzentren und vieles weitere mehr. Es Programme wie zum Beispiel das HAW.International, von dem wir hier an der TH Lübeck wirklich sehr profitieren.
Noch zwei Beispiele: Die Internationale DAAD Akademie bietet eine niedrigschwellige Peer to Peer Beratung zu allen Themen rund um die Internationalisierung. Das Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) unterstützt deutsche Hochschulen bei der Anbahnung und Durchführung ihrer internationalen Aktivitäten und stellt hierfür Fach- und Regionalexpertise in einem breiten Portfolio an Informations-, Beratungs- und Vernetzungsformaten zur Verfügung.
Es macht mich wahnsinnig glücklich, dass wir in Deutschland so eine Agentur haben.
Sind wir ein beliebtes Ziel für internationale Studierende?
Ja, Deutschland ist ein sehr beliebtes Ziel, wir sind auf Platz drei nach den USA und England. Noch vor Australien! Ein deutschsprachiges Land hat sich in die TOP 3 der beliebtesten Zielländer geschoben. Das ist eine gute Nachricht. Als Gründe werden die Technologieführerschaft Deutschlands in vielen Bereichen, unsere Auswahl an englischsprachigen Studiengängen, attraktive Berufsperspektiven und unsere niedrigen Studien- und Lebenshaltungskosten angeführt.
Eine weitere gute Nachricht: Die Anzahl internationaler Studierender nach Deutschland steigt sowohl für die Universitäten als auch für die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) beständig. Im Wintersemester (WS) 2024/25 hatten wir ein Plus von 402.083 Studierenden, das sind 5,8 Prozent. Interessant auch der Blick auf die Herkunftsländer im WS 2024/25: Indien liegt auf Platz eins, hat mit einem Plus von 20 Prozent China überholt. China ist auf Platz zwei. Es folgen die Türkei, der Iran und auf Platz fünf Österreich.
Sind internationale Studierende ein wirtschaftlicher Gewinn?
Ich warne davor, Studierende quasi nur unter ihrem wirtschaftlichen Gewinn zu betrachten. Aber: Ja! Internationale Studierende, so eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag des DAAD im Jahr 2025, sind ein wirtschaftlicher Gewinn. Jeder Jahrgang internationaler Studierender trägt langfristig rund acht Mal mehr zu den Einnahmen der öffentlichen Haushalte bei als das, was wir ausgegeben haben. Konkret: Allein die 80.000 international Studierenden, die ihr Studium 2022 begonnen haben, zahlen im Laufe ihres Lebens knapp 15.5 Milliarden mehr an Steuern und Abgaben ein, als sie Leistungen vom deutschen Staat erhalten.
Über 40 % der internationalen Studierenden sind übrigens in den MINT-Ingenieurwissenschaften eingeschrieben. Das ist unter der Fachkräftediskussion natürlich sehr, sehr relevant für uns hier in Deutschland. Denn: Der Anteil an Erstmatrikulationen deutscher MINT-Studierender ist in den letzten Jahren stark gesunken.
Deutschland ist beliebt, die Anzahl der internationalen Studierenden steigt, Ingenieurwissenschaften sind häufig gewählt, der Abschluss wird angestrebt. Die internationalen Studierenden sind ein Gewinn, auch ökonomisch. Allerdings: Schleswig-Holstein ist nicht so gut dabei.
Schleswig-Holstein gilt als Glücksregion. Gilt das nicht für die internationalen Studierenden?
Leider nein. In Deutschland sind 13 Prozent der Studierenden internationaler Herkunft, in Schleswig-Holstein sind es 7 Prozent. Das ist Rang 16 von 16. Die nächste schlechte Nachricht sind die Abbruchquoten. An der TH Lübeck arbeiten intensiv daran, dass sich das in unserer Hochschule ändert. Ein Beispiel an der TH Lübeck ist Programm KInternationalisierung von Studiengängen (KIS), für mehr internationale Studierende auf dem Campus und im Arbeitsmarkt, das am 01. Oktober 2025 startete. Expert*innen von der Technische Hochschule Lübeck entwickeln ein Konzept, das deutschsprachige Studiengänge für internationale Studierende zugänglicher macht.
Schleswig-Holstein bekennt sich zum Thema Internationalisierung, richtet das Augenmerk ganz stark auf den Anteil internationaler Studierende. „Die Internationalisierung der Hochschulen bleibt ein wichtiges Ziel der Wissenschaftspolitik in Schleswig-Holstein“, heißt es im Hochschulvertrag zwischen dem Land Schleswig-Holstein und den Hochschulen des Landes.
Wie gewinnen wir zukünftig mehr internationale Studierende?
Ich plädiere für eine Vernetzung mit den vielen guten Kampagnen und Plattformen, die es schon gibt! Da wäre zum Beispiel die Kampagne Studieren in Deutschland. Es gibt die Plattform des DAAD für internationale Studiengänge. Es gibt mit My GUIDE eine Plattform zur Studienorientierung, sie bietet die Suche nach dem passenden Studiengang und geeigneten Stipendien auf Basis des persönlichen Profils, den Abgleich zwischen Bildungsqualifikationen und den jeweiligen Zulassungsvoraussetzungen sowie die Möglichkeit der (KI gestützten) Kontaktaufnahme mit Hochschulen. My GUIDE bündelt Informationen aus bereits bestehenden Plattformen (z.B. International Programmes) und Datenbanken. Unsere Kollegin Prof. Monique Janneck hat bei einigen dieser Initiativen aktiv mitgearbeitet.
Ein weiteres Beispiel ist das Projekt VORsprung in Kooperation mit deutschen Hochschulen. Dahinter verbirgt sich ein kostenfreier Online-Kurs des DAAD, der internationale Studierende auf ein naturwissenschaftlich-technisches Studium (MINT) in Deutschland vorbereitet. Dieses Angebot wird gezielt an internationale Studieninteressierte ausgespielt, die sich für ein MINT-Studium interessieren, aber noch nicht über die erforderliche Hochschulzugangsberechtigung verfügen.
In Schleswig-Holstein bereitet das Studienkolleg Studierende mit einer ausländischen Hochschulzugangsberechtigung auf ein Studium an einer HAW in Schleswig-Holstein vor. Hauptsitz ist an der HAW Kiel, vor zwei Jahren wurde das Projekt um die Standorte Lübeck, Heide und Flensburg erweitert, um noch mehr internationale Studierende für die Hochschulen zu gewinnen.
Speziell an der TH Lübeck hatten wir auch 2025 wieder viele internationale Formate wie beispielsweise den Baltic Sea Region Hackathon, Summer Schools, oder auch interessante internationale Semesterprojekte. Es gibt so viele großartige Angebote! Ich ermutige jede*n, sich zu informieren und die Internationalisierung zu erleben und mitzugestalten.
Hintergrund
Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD): Der DAAD ist als Verein der deutschen Hochschulen die weltweit größte Organisation zur Förderung des internationalen akademischen Austausches. Ziel ist es, Brücken zu bauen zwischen Menschen, Kulturen, Wissenschaftssystemen und Disziplinen.
Wissenschaft weltoffen
Zahlen, Daten, Fakten zur Internationalität von Studium und Forschung in Deutschland und weltweit.
Jahresempfang der TH Lübeck am 10.04.25
Motto “Weltweit vernetzt: Internationalisierung als Schlüssel zu unserer Zukunft”
Onlinestudium und Auslandsaufenthalt
Student*innen erzählen in unserem Podcast Onlinestudium. Passt! von ihren Erlebnissen.






