Possehl-Stipendium für Architektur 2023: von fliegenden Dächern, Waldbaden in der Grundschule und durchgelaufenen Schuhsohlen

Wohnen und Arbeiten am Glashüttenweg, Waldbaden in der Grundschule und fliegende Dächer: drei Studierende der TH Lübeck erhalten das Reisestipendium 2023, darunter zum ersten Mal eine Stadtplanerin. Sieben weitere Studierende erhalten einen Reisekostenzuschuss.

Die glücklichen Gewinner des Possehl-Reisestipendiums: Vanessa Grube, Nick Hettwer und Yannik Schümann. Foto: Agentur 54°

Tom Holthusen berichtet als ehemaliger Stipendiat von seiner Italienreise. Foto: Agentur 54°

Prof. Frank Schwartze übergibt den sieben Gewinner*innen des Reisekostenzuschusses ihre Urkunden. Foto: Agentur 54°

Diese sieben erhalten je 500 Euro für eine Reise: Marc Vincent Fritzemeier, Melanie Mohammadi, Mika Bättjer, Karina Kreker, Laura Heßler, Johanne Lüdemann, Lukas Chmielnik. Foto: Agentur 54°

Max Schön interviewt die Preisträgerin Vanessa Grube und fragt sie nach ihrem Reiseziel. Foto: Agentur 54°

„Nach zwei durchgelaufenen Paar Schuhen war ich in meinem letzten Reiseziel Mailand nicht gerade angemessen gekleidet“, scherzt Tom Holthusen. Er berichtet von seiner Italienreise, die er mit dem Preisgeld des Possehl-Stipendiums für Architektur 2022 machen konnte. Holthusen, wie auch Dustin Buddenberg und Alexander Pfleiderer berichteten als Gewinner des Reisestipendiums eindrucksvoll und humorvoll von ihren Reisen. Dustin Buddenberg zog es gleich in drei Länder: Österreich, die Schweiz und Italien. „Wir haben uns insgesamt 86 Gebäude angeschaut – nach der Reise musste ich meiner Freundin versprechen den nächsten Urlaub anders zu gestalten.“ Alexander Pfleiderers Reise sollte ein Praktikum in London bei einem großen Architekturbüro werden – der Brexit hatte jedoch andere Pläne mit Pfleiderer. Ende der Geschichte: der Leiter des Prager Büroablegers rief ihn an einem Donnerstag an, dass er sein Praktikum dort am kommenden Montag anfangen könne: „Ich saß im Zug und habe nach Hostels gegoogelt, um dann in der ersten Woche bei einem Kollegen unterzukommen.“ Alle drei berichten emotional von ihren Erfahrungen, die ihnen niemand mehr nehmen kann.

Bildungsreisen erweitern Horizont und Wissen

Diese Erfahrungen dürfen nun auch die diesjährigen Gewinner*innen machen: insgesamt zehn Studierende der Architektur und Stadtplanung der Technischen Hochschule (TH) Lübeck konnten sich bei der Verleihung des Possehl-Stipendiums am 31. Mai 2023 über Preise freuen. Die angehende Stadtplanerin Vanessa Grube und die Architekten Nick Luca Alexander Hettwer sowie Yannik Schümann erhalten das Reisestipendium, das mit 3.000 Euro dotiert ist. Mika Bättjer, Lukas Chmielnik, Mark Vincent Fritzemeier, Laura Heßler, Karina Kreker, Johanne Lüdemann, Melanie Mohammadi bekommen für ihre Arbeit einen Reisekostenzuschuss von je 500 Euro. Der Vorsitzende der Possehl-Stiftung, Max Schön, betont in seiner Ansprache an die Studierenden und die Gäste: „Jungen Menschen neue Wege in die Welt und zu innovativen Themen zu ermöglichen, lag schon unserem Stifter Emil Possehl vor über 100 Jahren am Herzen. Bildungsreisen erweitern Horizont und Wissen – das ist nicht nur für die persönliche Entwicklung wichtig, sondern es ist auch von unschätzbarem Wert für gesellschaftlichen Wandel und Fortschritt. Es war sehr interessant, die Reiseberichte der letztjährigen Stipendiat*innen zu hören – und wir sind schon gespannt auf das, was die Studierenden im nächsten Jahr zurück nach Lübeck bringen werden!“

Live backbord – work steuerbord

So stellt sich Vanessa Grube ein Quartier im Glashüttenweg vor: „Live backbord – work steuerbord“. Die angehende Stadtplanerin zeigt in einer Gruppenarbeit eine belebte Wasserkante, Platz für Handwerk, ein Gemeinschaftshaus, eine Kita und einen Spielplatz. „Eine Besonderheit bildet das geplante Museum, das die Deponierung von Zwangsarbeiter*innen im Glashüttenweg im zweiten Weltkrieg thematisieren soll“, sagt Grube. Die Jury lobte Vanessa Grubes „sorgfältig und ansprechend dargestellten Arbeiten. Sie zeichnet ein Gespür für eine differenzierte Außenraumbildung und der Anspruch der realistischen Umsetzbarkeit aus.“ Mit dem Reisestipendium will Vanessa Grube eine Summer School in Pisa besuchen. „Die Summer School beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen der Stadt und dem angrenzenden Fluss. Ich finde es spannend, wie wir in Zukunft mit Trockenheit im Städtebau umgehen und freue mich deshalb sehr auf die Reise.“

Waldbaden in der Grundschule

Nick Luca Alexander Hettwer entwarf in einer Gruppenarbeit unter anderem ein Grundschulgebäude aus Holz. Bäume und das japanische Konzept des „Waldbadens“ stehen dabei im Zentrum des Entwurfs. „Die Schüler*innen sollen die Vegetation um das Gebäude herum ungestört entdecken können“, sagt angehende Architekt Hettwer. Holz findet sich als Hauptmaterial in der Schule wieder – sowohl an der Fassade als auch im Innenraum. „Die Arbeiten weisen von der großen Struktur bis in die sorgfältige Detaillierung ein besonderes Gespür für Räumlichkeit auf“, so das Urteil der Jury. Hettwer wählte konsequent Japan als Reiseziel: „Neben beispielsweise den skandinavischen Ländern, sehe ich im Holzbau auch Japan als Pionier an. Ich würde mich vor Ort sehr gern mit Holzverbindungen und modernen wie traditionellen Holzbauten befassen.“

Fliegende Dächer

Yannik Schümann setzt sich in der Gruppenarbeit „Fliegende Dächer“ mit der Kombination von Gewerbe und Wohnen auseinander. „Die unterschiedlichen Dachhöhen sind an die Bestandsbauten des Grundstücks angepasst und spiegeln so den Charakter der traditionellen Bebauung der Lübecker Altstadt wider“, so Schümann. Der angehende Architekt plante das Gebäude in nachhaltiger Holzbauweise ohne Verbundwerkstoffe mit einem begrünten Dach. „Die Arbeiten von Yannik Schümann zeigen durchgehend eine hohe gestalterische und darstellerische Qualität und Präzision“, urteilt die Jury. Auch Schümann wählte Japan als Reiseziel. „Insbesondere der Platzmangel in den Metropolen wie Tokio oder Osaka erfordern unkonventionelle Lösungen. Das Stipendium ermöglicht mir den Traum eine Japan-Reise zu machen und die Architektur und kulturelle Vielfalt des Landes kennenzulernen.“

Über das Possehl-Stipendium für Architektur

Der Lübecker Unternehmer und Stifter Emil Possehl (1850 – 1919) hat bereits zu Lebzeiten den Wissensaustausch von Mitarbeiter*innen und Student*innen mit Reisestipendien befördert. In seinem Sinne vergeben die Possehl-Stiftung und die Studiengänge Architektur und Stadtplanung der Technischen Hochschule Lübeck alle zwei Jahre die Possehl-Stipendien für Architektur. Die Stipendien sollen den Studierenden Reisen oder Aufenthalte außerhalb Lübecks ermöglichen, die ein wertvoller Impuls und Inspiration für ihr Studium und ihre persönliche Entwicklung sein können.
Die Jury des Possehl-Stipendiums für Architektur setzt sich in diesem Jahr wie folgt zusammen: Carsten Groth (Possehl-Stiftung), Rainer Steffens (BDA Lübeck), Inga Müller-Haagen (Architekturforum), Prof. Tobias Mißfeldt, Prof. Melanie Rüffer, Prof. Benjamin Spaeth (alle 3 FB Bauwesen der TH Lübeck)