Zur Renaissance der Fiskalpolitik

Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen

TH-Professor für Internationale Kapitalmärkte und Internationale Wirtschaftspolitik Dr. Leef H. Dierks mit seiner Wissenschaftlichen Mitarbeiterin M.A. Sonja Tiggelbeck. Foto: TH Lübeck

TH-Professor für Internationale Kapitalmärkte und Internationale Wirtschaftspolitik Dr. Leef H. Dierks mit seiner Wissenschaftlichen Mitarbeiterin M.A. Sonja Tiggelbeck. Foto: TH Lübeck

Anfang März 2021 verabschiedete der US-Kongress ein von dem 46. Präsidenten Joe Biden in den ersten Wochen seiner Amtszeit aufgelegtes achtjähriges Konjunkturprogramm mit einem Umfang von US$1.900 Mrd. Die entsprechenden Maßnahmen, die insbesondere auf Infrastrukturprojekte abzielen, werden die heimische Nachfrage ankurbeln und könnten im laufenden Jahr einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von bis zu 6,5% gegenüber dem Vorjahr nach sich ziehen. Die Arbeitslosenquote wird bis Ende 2022 auf lediglich 4,3% sinken. Sollte, ja muss dies nicht Vorbild für die Europäische Union (EU) sein?

Die Fiskalpolitik erlebt eine Renaissance

Nun, die EU einigte sich im vergangenen Jahr nach einigem Hin und Her und gegen den erbitterten Widerstand der Sparsamen Vier (Dänemark, Österreich, Schweden und die Niederlande) auf einen Aufbauplan („NextGenerationEU“) im Umfang von €750 Mrd. Mit jeweils etwa €70 Mrd. entfällt das Gros der Zahlungen auf Spanien und Italien. Doch wirkt das Gesamtvolumen in Anbetracht der knapp 447 Mio. Einwohner (zum Vergleich: USA 332 Mio.) geradezu knausrig. Denn lange Zeit richtete sich der Blick auf die Europäische Zentralbank (EZB) und damit auf die Rolle der Geldpolitik in der Bekämpfung der mit einer Krise wie der Covid-19-Pandemie unweigerlich einhergehenden ökonomischen Wohlfahrtsverluste. Allerdings nahm die Wirksamkeit geldpolitischer Maßnahmen (allen voran jene der Nullzinspolitik) spätestens seit der Schuldenkrise 2012 kontinuierlich ab. So erlebt die Fiskalpolitik geradezu zwangsläufig eine Renaissance.

Inflation nutzt Schuldnern und schadet Gläubigern

Ziel der Fiskalpolitik ist es, die schwächelnde Nachfrage der privaten Haushalte (Konsum) und Unternehmen (Investitionen) auszugleichen. Infolge unausweichlicher Verdrängungsmechanismen fällt der entsprechende Multiplikator-Effekt oftmals jedoch geringer aus als erwartet. Haushalte wie Unternehmen antizipieren durchaus korrekt, dass höhere Staatsausgaben und eine wachsende Schuldenlast zukünftig durch höhere Steuern finanziert werden. Darüber hinaus kann eine expansive Fiskalpolitik inflationäre Tendenzen begünstigen. Doch paradoxerweise könnte gerade dies im aktuellen Umfeld nicht unerwünscht sein. Denn eine Inflation nützt Schuldnern und schadet Gläubigern; infolge der Geldentwertung schrumpft der reale Wert der Forderungen. Somit wäre der größte Gewinner der Staat, denn sofern die Inflationsrate (im Juli 2021 bei etwa 3,8%) höher ist als der Zins, zu dem sich der Staat Geld leiht (-0,5% p.a. für zehn Jahre), sinkt die reale Schuldenlast.

Neue Schulden sind die Steuern von morgen

Die Bundesrepublik Deutschland wies 2020 infolge der mit der Covid-19-Pandemie stehenden Ausgaben mit €189 Mrd. das höchste Defizit seit der Wiedervereinigung aus. Dieses wird durch neue Schulden gedeckt werden; neue Schulden, welche die Steuern von morgen darstellen. Und in der Erwartung, dass die Steuern (nach der Bundestagswahl) vermutlich spürbar steigen werden, kann es kaum verwundern, dass die Sparquote der privaten Haushalte in Deutschland im zweiten Quartal 2020 auf etwa 21% und damit in ungekannte Höhen emporschnellte. Natürlich ist dies zunächst auf die mit der Pandemie einhergehende Unsicherheit und die erzwungene Konsumzurückhaltung zurückzuführen. Und dennoch scheint es so, als habe die Verbraucher schon heute eine dunkle Vorahnung beschlichen von dem, was unweigerlich auf sie zukommen wird.