„Für die Lehre braucht man Milde. Für die Forschung Mut. Für den Transfer Geduld.“

Abschied und Neubeginn: Letzte Vorlesung von Prof. Dr. Matthias Grottker und Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Kendra Busche am Fachbereich Bauwesen der Technischen Hochschule Lübeck

Abschied und Neubeginn: Dekan Sebastian Fiedler (links) und Präsidentin Muriel Helbig (rechts) verabschiedeten Prof. Matthias Grottker und begrüßten Prof. Kendra Busche. Foto: TH-Lübeck

Die Gäste nutzten vor und nach der Veranstaltung die Gelegenheit, die Ausstellung „BAUFORUM.Profile“ zu bewundern. Foto: TH-Lübeck

Prof. Matthias Grottker gab bei seiner Abschiedsvorlesung einen Überblick über 32 Jahre Lehre, Forschung und Transfer. Foto: TH-Lübeck

Mit den Prinzipien der Ermöglichung und Selbstermächtigung möchte Prof. Kendra Busche zukünftig die Studierenden für die Freiraumplanung begeistern. Foto: TH-Lübeck.

Stehende Ovationen gab es von den zahlreichen Gästen nach einer bewegenden Verabschiedung und einer begeisternden Antrittsvorlesung. Foto: TH-Lübeck

Nach Zwei Vorlesungen und einigen Grußworten im Bauforum der TH-Lübeck freuten sich die Teilnehmenden und die Gäste auf eine Stärkung am Buffet. Foto: TH-Lübeck

Herzliche Gratulationen zum Abschied: Prof. Matthias Grottker hat im Laufe seiner langen Berufungszeit mit vielen Menschen zusammengearbeitet. Foto: TH-Lübeck

 

Erinnerung und Aufbruch, Rückblick und Ausblick, Dank für jahrelange Dienste und Vorfreude auf eine aufregende Zukunft: Bei der kombinierten Antritts- und Abschiedsvorlesung zweier Kolleg*innen am Fachbereich Bauwesen an der Technischen Hochschule Lübeck erlebten Mitglieder der Hochschule und geladene Gäste am 19.01.2024 in einem festlichen Ambiente einen Einblick in moderne Lehr- und Forschungsmethoden, persönlichen Austausch und vor allem viele emotionale Momente. Mit dieser Feier gehen wir neue Wege und verbinden zwei akademische Traditionen, so dass sich Vergangenheit und Zukunft auf wunderbare Weise die Hand reichen., leitet Dekan Prof. Sebastian Fiedler ein. Wir begrüßen herzlich und voller Neugier Dr. Kendra Busche als Professorin für die neu eingerichtete Professur für Freiraumplanung im städtebaulichen Kontext. Anschließend verabschieden wir mit Bedauern, aber vor allem voller Dankbarkeit, unseren hochgeschätzten Kollegen Dr. Matthias Grottker, der in seinen mehr als 30 Jahren an unserem Fachbereich sehr viel bewegt hat.

Freiraumplanung: Hochschule als Möglichkeitsraum

Vor dem Abschied erzeugte Kendra Busche „frisch, frei und offen“ – so Dekan Fiedler – eine belebende Brise im vollbesetzten Bauforum. Eine Hochschule ist ein Möglichkeitsraum für die stete Weiterentwicklung, sagte sie und begeisterte mit einer mitreißenden Antrittsvorlesung das bunt gemischte Publikum. Freiraumplanung ermöglicht Mitsprache in der Gestaltung öffentlicher Räume. Das „Mit“ spielt für sie eine große Rolle. Mitmachen. Mitdenken. Mitnehmen. Mitgestalten. Mitbeteiligen. Mitwirken. Kendra Busche möchte ihren Studierenden viele Entwicklungsmöglichkeiten ermöglichen. Wir gehen oft raus, laufen kilometerweit und mappen, was wir wahrnehmen. Das schärft die Sinne, beschreibt sie eine ihrer Lehrmethoden. Im Rahmen ihrer Studien widmet sie sich den Prinzipien der Ermöglichung und der Selbstermächtigung. Ich möchte Leidenschaft und Kompetenz an die Studierenden weitergeben und ermöglichen, dass sie ihre Bestimmung finden. Ihre Forschung widmet sich vor allem den Eigenarten von Stadtlandschaften sowie menschlichen und nicht-menschlichen Mitwirkungsformen an Landschafts-Entwicklungsprozessen. Hinter dieser drögen Beschreibung verbirgt sich ein bunter Strauß von Möglichkeiten: Künstlerische Annäherung; Involvierendes Entwerfen; Gesellschaftliche Verantwortung; Internationaler und interdisziplinärer Austausch.

Voneinander lernen: Deutsch-Chinesischer Austausch

Besonders der letzte Punkt spielte auch für Prof. Dr. Matthias Grottker eine wichtige Rolle. Seit 1993 war er als Professor für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik am Fachbereich Bauwesen der Technischen Hochschule Lübeck in den Bereichen Lehre, Forschung und Transfer tätig. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Schweiz und in Hannover. Von dort wurde er 1988 für sechs Monate als Gastwissenschaftler an das Anhui Water Resources Research Institute in China entsandt, gab einen Kurs in Siedlungshydrologie, schrieb dazu ein Lehrbuch mit den chinesischen Kollegen. Dieser Aufenthalt hat ihn geprägt, an der TH Lübeck war er maßgeblich an der Entwicklung des Deutsch-chinesischen Studienmodells (ZUST-THL) beteiligt. 12 Jahre lang koordinierte er den Austausch von Studierenden der TH Lübeck und der Zhejiang-University of Science and Technology (ZUST). Es war ein Dialog, erinnert er sich, Wir haben 650 Studierenden eine gute Zeit beschert, das Beste aus beiden Systemen erlebt und viel voneinander gelernt.

Von der knallharten Prüfung zur wohlwollenden Begleitung

3000 Studierende hat er wohl insgesamt in den 31 Jahren an der Hochschule betreut, davon 300 intensiv bei der Abschlussarbeit begleitet. Seine Einstellung zur Lehre hat sich in dieser Zeit verändert. Man wird milde, wenn man durch die Mühlen des Lebens gegangen ist, resümiert er, in dieser Atmosphäre kann man besser Vorbild sein und die Studierenden auch auf einer anderen Ebene erreichen. Am Anfang habe er noch knallharten Unterricht gemacht, ganz hohe Anforderungen gestellt und mit Schärfe die Prüfung durchgezogen, erinnert er sich. Und dann merkte er: Viel hängen blieb so nicht.
Er habe dann seine Prüfungsmethoden geändert, den Studierenden eher einen Spiegel vorgehalten, um sie bei der Suche nach dem richtigen Weg zu unterstützen. Heute denke ich: es ist meine Aufgabe, den Studierenden zu vermitteln, wie sie nachher als Ingenieure durch das Leben kommen. Eigenarbeit und Projektberichte mit einem Vortrag seien seiner Erfahrung nach viel geeigneter, um komplexe Zusammenhänge zu begreifen. Ich schrieb zuletzt keine Klausuren mehr, sondern ich ging mit den Studierenden in Klausur, um in Kleingruppen einen wirklich intensiven Austausch zu haben und so das Maximale aus ihnen herauszuholen, auch an Selbstreflexion. Ziel ist es, mit wohlwollender Begleitung Menschen auszubilden, die am Markt fachlich und menschlich passend sind.

Phosphor in Abwässern und Prüfung von Badewasserqualität

Und die Studierenden aus seinem Forschungsbereich sind auf dem Markt begehrt: Grottker hat sich in seiner Forschung viele Jahre mit dem Bereich Trennung von Regen,- Schwarz- und Grauwasser und der Rückgewinnung von Phosphor aus Abwässern beschäftigt. Phosphor ist ein wichtiger Rohstoff, der bei uns in der Toilette als flüssiges Gold einfach weggespült wird. In Lübeck Flintenbreite wurde zur Expo 2000 die Schwarzwassertrennung erprobt.

Ein weiteres wichtiges Projekt: Die Überprüfung der Badewasserqualität an 33 Badestellen in Rendsburg-Eckernförde. Das Team hat auf dem Campingplatz übernachtet, und immer wenn es geregnet hat, sind wir rausgefahren und haben Proben genommen, erinnert er sich. Wir haben viele Verbesserungsvorschläge unterbreitet für die Sanierung der Gemeinde- oder Hauskläranlagen, der Mischwasser- oder Regenwassereinleitungen. Und dann sind da noch die diffusen Quellen der Landwirtschaft. Wir haben uns über Düngepläne mit Blick auf Regenwetter Gedanken gemacht und ein Frühwarnsystem Badescout entwickelt. Ein weites Feld.

Umgang mit Regenwasser in Schleswig-Holstein

Hochschulen für Angewandte Wissenschaften wie die TH Lübeck stehen für anwenderorientierte Forschung, und so ist es nicht erstaunlich, dass Mathias Grottker der Punkt „Transfer“, also die Übertragung der Forschungsergebnisse in die Praxis - besonders wichtig ist. Es gab drei Schwerpunkte, zwei hier in Deutschland und einen im Ausland, fasst er zusammen. Über viele Jahre hat er zusammen mit dem Land Schleswig-Holstein, mit den unteren Wasserbehörden, mit dem Landesamt und mit dem Ministerium die wasserrechtlichen Anforderungen zum Umgang mit Regenwasser vorangebracht. Der Prozess zog sich über viele Jahre hin. Wir haben 2001 begonnen mit den ersten Untersuchungen, 2008 den ersten Entwurf geschrieben, der dann 2018 verabschiedet wurde“, erinnert er sich. „Bei der Forschung braucht man viel Mut, neue Wege zu gehen. Beim Transfer braucht man Geduld und Hartnäckigkeit, um dranzubleiben, die Bedürfnisse der unterschiedlichen Parteien abzuwägen und dann gemeinsam einen guten Weg zu finden.

Ziel von Grottkers Forschung: Abwasseraufbereitung verbessern

Sein zweites großes Thema war die Entwicklung einer 4. Reinigungsstufe bei der Abwasseraufbereitung. „Unser Trinkwasser ist gut untersucht“, sagt er. Die Abwässer aber, die wir in die Gewässer einleiten, durchlaufen nur drei Reinigungsstufen. Wir brauchen eine vierte Reinigungsstufe, ist sich Grottker sicher. In der EU sind 30.000 Umweltchemikalien zugelassen, das Abwassersystem ist die Senke für einen Großteil dieser Umweltchemikalien. Alles, was wir nicht mehr gebrauchen können, schmeißen wir weg, es landet entweder als Feststoff im Abfall oder als flüssiger Abfallstoff im Abwasser. Wir wissen weitgehend nicht, was diese Stoffe in den Gewässern bewirken. In den Kläranlagen würden von diesen 30.000 Stoffen gezielt nur wenige Stoffe zurückgehalten, jedoch Spurenstoffe, Mikroplastik und resistente Bakterien nur unvollkommen. Wir betreiben im Prinzip ein offenes Abwassersystem. Es wird in den Kläranlagen zu wenig herausgeholt, darunter leiden unsere Gewässer. Sein Beitrag: Im Rahmen seiner Forschungsarbeit an der TH Lübeck werden in der Versuchs- und Ausbildungskläranlage (VAK) in Reinfeld neue Module der 4. Reinigungsstufe installiert und getestet. Mit den Ergebnissen können dann die kommunalen Kläranlagen verbessert werden.

Und schlussendlich gibt es noch ein großes Transferprojekt in Tansania: Die Einführung eines Zweckverbandes zum nachhaltigen Betrieb von Wasser,- Abwasser- und Abfallanlagen. Da sind wir seit 2003 immer wieder mit Studierenden in kleineren Kampagnen vor Ort gewesen, sagt er. Ziel ist die Verbesserung der Wasserversorgung besonders der ländlichen Bevölkerung. Ich habe gute Erfahrungen gemacht in der Entwicklungszusammenarbeit: mit Freundschaft, Geduld, Scham, Dankbarkeit, Improvisation, Grundbedürfnisse, Toleranz, Staunen, Mut, Zusammenarbeit, Leidensbereitschaft, Faszination, Harmonie mit der Natur, Realismus und Pragmatismus. Das Projekt läuft noch, eine Finanzierung für den nächsten Schritt wird gesucht. Es gibt noch viel zu tun.

Professur an einer HAW: Das ist ein cooler Job

Am Ende gehörte alles zusammen. Die Lehre und der direkte Kontakt zu den Studierenden. Die Forschung und die praxisnahe Anwendung. Der Austausch und der Transfer mit anderen Disziplinen und Kulturen. Die Berufung an eine HAW würde er jedem empfehlen, der Spaß an der Lehre hat, Lust auf Forschung ohne Druck, und genug Geduld für den Transfer. Ja, das ist ein cooler Job, um es so salopp zu sagen, resümiert er. 30 Jahre voll Spaß - Es ist eine gute Berufung gewesen. Er wird gern noch ein wenig weitermachen „Nachsitzen“, nennt er das. Wir hatten ja auch Personalmangel. Ein Nachfolger kommt vielleicht im Juni, da will er ein wohlbestelltes Feld übergeben. Das Projekt in Tansania will er weitermachen, er hat mit ehemaligen Studierenden zusammen einen Verein gegründet, SUHRA e.V., sowie eine NGO in Tansania.

Muriel Helbig, Präsidentin der Technischen Hochschule Lübeck, begrüßte die neue Kollegin: Ich bin froh und glücklich, wie Kendra Busche hier mit viel Kompetenz und Menschlichkeit unsere TH auf den Kopf stellt, sagte sie. Und sie fand eine elegante Art, Matthias Grottker doch noch nicht so ganz zu verabschieden: Sie überreichte dem hochgeschätzten Kollegen eine Urkunde mit der Ernennung zum Senior-Professor. Du hast eine unnachahmliche Art, nach gesundem Menschenverstand durch die Hochschule zu navigieren sagte sie. Mich hat immer beeindruckt, wie Du Dich für Deine Leute einsetzt und dabei Deine Prioritäten so klar hast: Mensch Leute, Familie ist das wichtigste, achtet auf die Gesundheit, den Rest bekommen wir schon hin. So hast Du die TH-Lübeck und auch mich geprägt mit Herz, Verstand und Menschlichkeit.