Wie Eurobonds die Stabilität der EU untergraben werden!

„Die infolge der Corona-Krise von der Europäischen Union (EU) gemeinschaftlich emittierten Anleihen setzen Fehlanreize. Einige Mitgliedstaaten könnten die Konsolidierung ihrer Haushalte weiter aufschieben und überfällige Strukturreformen verzögern. Dies ginge unweigerlich zu Lasten der Stabilität der EU und könnte neben der politischen Union auch die Wirtschafts- und Währungsunion nachhaltig schwächen“, sagt der internationale Finanzmarktexperte Prof. Dr. Leef H. Dierks.

TH Lübeck Professor Dr. Leef Dierks über den Beschluss der Euroländer für gemeinsame Anleihen. Foto: Ulf-Kersten Neelsen

TH Lübeck Professor Dr. Leef Dierks über den Beschluss der Euroländer für gemeinsame Anleihen. Foto: Ulf-Kersten Neelsen

Dierks ist Professor für Betriebswirtschaftslehre im Schwerpunkt Internationale Kapitalmärkte am Fachbereich Maschinenbau und Wirtschaft der Technischen Hochschule Lübeck. In regelmäßig erscheinenden Veröffentlichungen analysiert Dierks den Bereich der Covered Bonds mit den Auswirkungen auf internationale Kapitalmärkte. Er geht dabei besonders der Fragestellung nach, inwiefern die gegenwärtige Niedrigzinspolitik der Zentralbanken Einfluss nehmen kann auf die Finanzierung kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) und ob diese davon profitieren.  

Sollte nicht noch etwas wirklich Überraschendes geschehen, wird es schon in wenigen Wochen, also bereits Mitte September 2020, zur Emission einer gemeinschaftlichen Anleihe der Europäischen Union (EU) kommen, einem unverändert in allerhöchstem Maße umstrittenen Instrument, so Dierks weiter. Während insbesondere die sog. Sparsamen Vier um Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande dieser Form der Finanzierung eher ablehnend gegenüberstehen, war ihre Einführung für einige Mittelmeeranrainer erklärtes Ziel des Brüsselers Sondergipfels der 27 EU-Mitgliedstaaten Ende Juli 2020.

Während zehnjährige Bundesanleihen (sog. Bunds) dieser Tage eine Rendite von etwa -0,50% aufweisen, liegen italienische Staatsanleihen (BTPS), beispielsweise bei etwa 1,00%; d.h., die Refinanzierungskosten Italiens, welche gemäß der Ratingagentur S&P ohnehin nur noch mit BBB (negativer Ausblick) bewertet sind, liegen knapp 1,50% über jenen Deutschlands (AAA, stabiler Ausblick). Diese nicht unerheblichen Mehrkosten in Anbetracht eines jährlichen Bruttorefinanzierungsvolumens in Höhe von mehr als €400Mrd. sind vor allem auf makroökonomische, auf politische Gründe (s.o.) sowie auf das fehlende Vertrauen der Investoren in die fiskalpolitische Stabilität der kommenden Jahre und Jahrzehnte zurückzuführen. So könnte Italiens Haushaltsdefizit, Schätzungen zufolge, alleine 2020 auf bis zu 10% des BIP ansteigen. Vorgesehen sind laut Vertrag von Maastricht gerade einmal 3%. Das BIP könnte 2020 um bis zu 9% gegenüber dem Vorjahr einbrechen. 

Schlagartige Verbesserung des Kapitalmarktzugangs
Neu emittierte Eurobonds (von S&P übrigens mit AAA (stabiler Ausblick) bewertet) mit zehnjähriger Laufzeit werden rein rechnerisch bei etwa -25Bp emittiert werden, da sie von einer gemeinschaftlichen Haftung aller EU-Mitgliedstaaten profitieren. Deutschland hat so unverändert einen Anreiz, den Bundeshaushalt 2020, welcher in Folge der COVID-19 Pandemie auf mehr als €500Mrd. angewachsen ist, durch die Emission von relativ günstigeren Bundesanleihen zu (re-) finanzieren. Doch für Italien beispielsweise, ist es plötzlich deutlich günstiger (und damit attraktiver) sich auf eine Refinanzierung durch Eurobonds zu verlassen.

Italien (wie übrigens andere Mittelmeeranrainer auch!) profitiert also von schlagartig deutlich verbesserten Konditionen beim Kapitalmarktzugang. Es wäre – in Anbetracht seines immensen Finanzierungsbedarfs in den kommenden Jahren – schlecht beraten, diese nicht zu nutzen. So wird alleine Italien mit Zuschüssen in Höhe von €82Mrd. und Darlehen von sage und schreibe €127Mrd., nach dem jetzigen Stand der Dinge, der größte Profiteur dieser Maßnahmen sein.

Schaffen von Fehlanreizen
Anders ausgedrückt: Insbesondere jene Volkswirtschaften, die in der Vergangenheit bereits (weit) über ihre Verhältnisse lebten und seit geraumer Zeit große Haushaltsdefizite generierten, werden die eigentlich überfällige Konsolidierung ihrer Haushalte vermutlich weiter aufschieben. Sie sind auf das Vertrauen der Investoren nicht mehr in dem Maße angewiesen, wie es ohne die Anleihen der EU der Fall gewesen wäre. Sprich: Die Länder, die bereits ausgeglichene Haushalte präsentierten, werden auch weiter daran festhalten. Doch jene, die jetzt die Möglichkeit haben, günstigeres Funding als zuvor in Anspruch zu nehmen, haben naturgemäß keinerlei Anreiz mehr, Sparanstrengungen zu unternehmen. So setzen die Anleihen der EU infolge der unausweichlichen Adversen Selektion gänzlich verkehrte Anreize.

Weitere Verzögerungen der Strukturreformen
Denn in dem Maße, wie die Volkswirtschaften nun dank der EU-Anleihen von einem günstigeren Kapitalmarktzugang profitieren, gibt es kaum mehr die Notwendigkeit, (politisch nur schwer durchzusetzende) Veränderungen wie z.B. eine Rentenreform o.ä. in Angriff zu nehmen. Kurz: Infolge der EU-Anleihen besteht die Gefahr, dass (längst überfällige!) Strukturreformen einmal mehr auf die lange Bank geschoben werden. Anstatt die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften sukzessive aneinander anzugleichen, könnten EU-Anleihen das genaue Gegenteil bewirken. Strukturreformen bleiben zunächst einmal aus und die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen EU-Mitgliedstaaten läuft Gefahr, in Zukunft noch weiter auseinanderzudriften. Doch gerade diese, seit Einführung des Euro immer weiter auseinanderklaffende Wettbewerbsfähigkeit, stellt doch (von dem Coronavirus einmal abgesehen) die Ursache der gegenwärtigen wirtschaftlichen Misere dar.

Aushöhlen der ‘No-Bail-Out-Clause’
Darüber hinaus führt die Emission von EU-Anleihen mit anschließender Verteilung der Mittel zu einer Aushöhlung der im Vertrag von Maastricht verankerten Nichtbeistandsklausel (No-Bail-Out Clause). Dies mutet ein wenig merkwürdig an, denn gerade Italien, das sich im Hinblick auf seine Haushaltsdisziplin in den vergangenen Jahren mit einer Staatsverschuldung von 135% des BIP (zum Vergleich Deutschland: 62%) nicht gerade als Musterknabe präsentierte, ist nun der große Nutznießer. Auf diese Art und Weise wird nicht zuletzt die Stabilität der EU unterminiert, denn die unterschiedlichen fiskalpolitischen Denkschulen treten offen wir nie zutage. Neu ist jedoch die Chuzpe mit der einige Volkswirtschaften die Reputation der gesamten EU nutzen, um ihre bisweilen populistisch anmutenden wirtschafts- und fiskalpolitischen Ideen zu Lasten derer, die in der Vergangenheit angemessen und umsichtig agierten, durchzusetzen. 

Übergang in die Transfer- und Schuldenunion
Stärker als je zuvor erleben wir dieser Tage den Übergang in eine Transferunion. Beflügelt wird dies nicht zuletzt auch durch die Bundesrepublik selber. Denn in dem Maße, wie ein Bundesfinanzminister erklärt, dass „die im Zuge der Corona-Krise vereinbarte gemeinsame Schulden-aufnahme in Europa keine krisenbedingte Eintagsfliege“, sondern „(...) ein echter Fortschritt für Deutschland und Europa, der sich nicht mehr zurückdrehen lässt“ sei, dürfte feststehen, dass dieses Instrument ein fester Bestandteil der so oft bemühten „neuen Normalität“ ist.

Finanzierung der Maßnahmen endet nicht mit EU-Bonds
Doch dabei darf nicht vergessen werden, dass eher früher als später die Frage danach aufzuwerfen ist, wer all diese Maßnahmen eigentlich bezahlen wird. Selbst wenn dieser Tage alle Augen auf die Verwendung der im Rahmen der Corona-Hilfe beschlossenen fiskalpolitischen Stimuli gerichtet sind wären wir allesamt gut beraten, den Blick auf das zu richten, was noch vor uns liegt. Es gilt eine Antwort darauf zu finden, wie all diese Maßnahmen, deren aggregierter Umfang mittlerweile auf €750Mrd. angewachsen ist (davon €390Mrd.  als Zuschüsse und €360Mrd.  als Kredite), zu finanzieren sind. Denn selbst auf die vielgepriesenen EU-Bonds fallen Zins- und Rückzahlungen an. Will sagen, Steuern oder einer (noch) höheren Schuldenlast.

Fast scheint es so, als stünde uns die unausweichliche Umverteilungsdebatte erst noch bevor.

Kontakt

Leef H. Dierks
Prof. Dr.
Leef H. Dierks


Telefon:+49 451 300 5047
E-Mail:leef.dierks@th-luebeck.de
Raum:17-1.27